Kriegsende in Überlingen

Aus dem Tagebuch der 14-jährigen Überlingerin Charlotte Mitzel am 25.04.1945

„Heute, gegen Abend, zogen die Franzosen in Überlingen ein. Vom hochgelegenen Garten der Verwandten in der Badstraße konnten wir die Übergabe der Stadt mit weißer Fahne an den Panzersperren vor dem Badhotel beobachten. Wir waren vormittags von unserem Haus auf dem Stein geflüchtet, als in unserem Garten eine MG-Stellung aufgebaut wurde. Die Soldaten unterwiesen uns allerdings noch in der Handhabung von Panzerfäusten, aber wir zogen es doch vor, bei den Verwandten kampflos Schutz zu suchen. Nach der Übergabe der Stadt hörte der Geschützlärm auf … Irgend jemand sagte uns Kindern, der Krieg sei jetzt vorbei für uns. Aber wie geht es jetzt weiter?“

Panzersperren am Badhotel

Das Museum an der Krummebergstraße blieb beim Beschuss der Franzosen am 25. April 1945 unversehrt. Von Panzergranaten getroffen und zerstört wurden an diesem Tag die drei angrenzenden Häuser links und rechts der Luziengasse.

„Hier war damals noch eine kleine Landwirtschaft der Familie Staiger.“ Was nach den Mutmaßungen des kriegsmüden Überlinger Bürgers Karrer vermeidbar gewesen wäre, wenn die Panzer nicht von der davor liegenden Rosenobelschanze aus unter Beschuss genommen worden wären. Wahrscheinlich wäre sonst „gar kein Schuss gefallen“, notierte Augenzeuge Karrer damals, der den Panzern an der Wiestorstraße entgegengeeilt war und Kontakt mit den französischen Soldaten aufgenommen hatte. „Die Panzerbesatzung zeigte sich mir keineswegs feindselig.“
Er informierte sie auch darüber, wo die militärischen Verantwortlichen und der Kreisleiter der NSDAP ihr Quartier gehabt hatten.
Der eine saß im Rosenobelhaus, der andere in der damaligen Löwenzunft an der Hofstatt. „Ich zeichnete ihnen auf die Panzer, wo ich mir die Granaten hinwünschte.“

An der Luziengasse war der Hauptzugang zu dem großen Luftschutzkeller, der sich unterirdisch verzweigte und in dem zu diesem Zeitpunkt wohl der größte Teil der Innenstadtbevölkerung Schutz gesucht hatte.
Zwei weitere Ausgänge waren an der Gradebergstraße bei der heutigen Musikschule und im Stadtgrabe an der Wiestorstraße.

„In vollster Aufregung springt alles herein in den Bunker, Angst in den Gesichtern“, hatte die Hausgehilfin Josefine Regenscheit ihre damaligen Erlebnisse festgehalten: „Sie kommen, sie kommen.“ Eine Schießerei ist zu hören, der Luftschutzwart habe zur Ruhe ermahnt. Regenscheit spricht ein Stoßgebet „Maria hilf, verlass uns nicht! Herrgott, hilf!“ Sie hört Rufe. Es brenne bei Schnerings, auch das Museum brenne.
Ein Überlinger Soldat „leichenblass und mit Schweiß auf der Stirn“ habe in der Tür gestanden und gebrüllt: „Männer hinaus, Panzersperren öffnen.“ Nur zaghaft hätten sie sich erhoben und wären dem Aufruf gefolgt. „Von Minute zu Minute verstärkt sich das Gefühl unserer Hoffnungslosigkeit.“ Als die Schutzsuchenden den Keller verlassen, sehen sie von dieser Stelle aus beim Blick nach oben Rauch und Trümmer.

Zwischen Rathaus und Münstertreppe kam es in den letzten Minuten vor der Übergabe an die Franzosen noch zu einem folgenschweren Zwischenfall, dessen Opfer der Polizist Peter Hyni werden sollte.
Er sei hier aus der Wache herausgetreten und „wollte zu einigen jungen SS-Kämpfern wohl sagen: Weg mit euch, die Stadt wird jetzt übergeben!“ Diesen guten Willen habe er gehabt und wild gestikuliert, während der erste Panzer unter der Münstertreppe eingetroffen sei. Die Soldaten hätten sein Verhalten falsch interpretiert und sofort mit einem Maschinengewehr geschossen.
Noch am Abend sei er gestorben. Ein weiterer „noch rätselhafterer Vorfall“ ereignete sich an der Aufkircher Straße 14, wo Josef Regenscheit zu Tode kam.

Über die Umstände und die Verantwortlichen ist wenig Konkretes bekannt. Überlinger Spekulationen, dass er von einem Panzer der Franzosen in den Kopf getroffen wurde, sind eher unwahrscheinlich. Eher möglich ist, dass Regenscheit von den „SS -Buben“ als Überläufer getötet worden sei, da er möglicherweise einen „weißen Lappen“ mit sich geführt habe.

Die Übergabe der Stadt an die Franzosen erfolgte direkt unterhalb des Rathauses, in dem Bürgermeister Albert Spreng noch das Sagen hatte.
Spreng war erst kurz vor Kriegsende aus der NSDAP ausgetreten und durfte noch einen Monat amtieren. Die offiziellen Bekanntmachungen zur Übergabe mit allen Verhaltensregeln sind bei der Fa. Feyel gedruckt worden.

Waren noch am 28. März 1945 mit dem deutschlandweiten Flaggenerlass „weiße Tücher“ bei Todesandrohung ausdrücklich verboten worden, seien sie hier zur Pflicht erklärt worden. Nur wenige Tage später ging die „Löwenzunft“ an der Hofstatt in Flammen auf und brannte nieder. Hier, wo zuvor das Büro des NSDAP-Kreisleiters gewesen war, hatten die Überlinger an den Tagen zuvor all ihre Waffen abliefern müssen. Eher ist hier eine Unbedachtsamkeit die Ursache, die das Feuer ausgelöst haben könnte, als die bisweilen kolportierte Brandstiftung.
Alle Männer wurden zunächst im „Goldbach-Lager“ interniert, die meisten nach Überprüfung ihrer Identität nach wenigen Tagen wieder frei gelassen. 30 bis 40 „Belastete“ seien ins Gefängnis gebracht worden.

285 Überlinger sind im Verlauf des Krieges zu Tode gekommen oder vermisst geblieben. Nur einige wenige waren es glücklicherweise beim Einzug der französischen Truppen, die mit sechs Panzern zunächst an der Zimmerwiese eingerückt waren.
In der heutigen Franz-Sales-Wocheler-Schule war damals ein Lazarett eingerichtet war. Genau noch einen Monat war Bürgermeister Albert Spreng als ehemaliges NSDAP-Mitglied in Amt und Würden geblieben, ehe Metzgermeister Karl Löhle von den Franzosen an dessen Stelle gesetzt wurde.

Am 28. April 1944 hatte es schon einen vehementen Luftangriff auf Friedrichshafener Rüstungsbetriebe gegeben, der erst Anlass zum anschließenden Bau der Stollenanlage im Molassefels werden sollte.
Rund 200 Zwangsarbeiter aus dem Konzentrationslager Dachau sind hier im Verlauf der Arbeiten zu Tode gekommen, die 600 zuletzt Überlebenden sollten vor dem drohenden Ende mit dem Zug vom heutigen Bahnhof Mitte aus noch schnell zurück nach Dachau gebracht werden, landeten dann aber in München – Allach. Der Überlebende Anton Jez befürchtete, erschossen zu werden, als die Zwangsarbeiter „in das Loch“ hinuntergetrieben wurden.

Schon im Herbst 1944 habe es einige Opfer bei einem Angriff auf das Bahngelände im West gegeben, im Verlauf des Winters seien dann an allen strategischen Punkten rund um die Stadt Panzersperren errichtet worden.
Im März noch wurde mit Oberstleutnant Wellenkamp ein neuer Militärkommandant als „Unterabschnittsführer des Kampfabschnitts Bodensee“ eingesetzt, der im Wehrmeldeamt im heutigen Rosenobelhaus seinen Dienstsitz hatte. Der Rest der Wehrmacht sei nach allen Berichten schon auf der Flucht gewesen.Mit dem neuen Kreisleiter Schmidt sollte Wellenkamp die schon kriegsmüden Überlinger irgendwie noch zum letzten Widerstand motivieren.

Zu den Kriegsmüden gehörte in Überlingen nicht Lieselotte Lohrer, NSDAP-Frauenführerin und spätere Frau von Ernst Jünger, die vor den französischen Schwarzen warnte, „die Trauer über den Zusammenbruch eines Glaubens“ beklagte und die noch in diesen Zeiten auf den Aufbau eines „inneren Reiches“ hoffte.
Kriegsmüdigkeit sprach eher aus dem Verhalten des Überlinger Bürgers Karrer, der am 25. April den französischen Soldaten entgegen ging und ihnen bei der Orientierung behilflich war.
„Die Panzerbesatzung zeigte sich mit keineswegs feindselig. Ich bat Sie das Feuer einzustellen“, schreibt Karrer, der ihnen den Dienstsitz der Militärs zeigte und ihnen auf den Panzer zeichnete, „wohin er sich die Granaten wünschte“.

Quellenangabe: SÜDKURIER vom 28.04.2015