Für die Arbeiten in der Stollenanlage Überlingen wurden etwa 800 Häftlinge aus verschiedenen Außenlagern des Konzentrationslagers Dachau geholt.
Die KZ-Häftlinge waren hauptsächlich Italiener, Polen, Russen, Tschechen, Slowenen und Deutsche. In zwei großen Transporten kamen sie Ende September 1944 und am 3. Oktober 1944 mit der Eisenbahn nach Überlingen. In den Konzentrationslagern, auch in Überlingen, wurden die Häftlinge durch verschiedenartige, an ihre Kleidung angenähte „Stoffwinkel“ gekennzeichnet. Im KZ Überlingen waren vor allem politische (rote Winkel), kriminelle (grüne Winkel) und sog. asoziale (schwarze Winkel) Häftlinge eingesetzt – keine Menschen jüdischen Glaubens.
Sogenannte Kapos, die aber selbst auch Gefangene waren, beaufsichtigten die Arbeit im Stollen. Vor den Stolleneingängen waren SS-Wachen mit Hunden postiert, um Fluchtversuche zu vereiteln.
Der Tagesablauf war in zwei Schichten zu je 12 Stunden eingeteilt. Um 6 Uhr war Schichtbeginn. Gegen 9 Uhr gab es eine Brotzeit: ein Stückchen Brot mit etwas Margarine. Von 12 Uhr bis 13 Uhr eine Mittagspause: „Rüben, Rüben und immer Rüben“.
243 Häftlinge starben in diesen 7 Monaten aufgrund mangelhafter Ernährung, durch die schwere, mörderische Arbeit, durch Arbeitsunfälle, an Krankheiten wie Typhus, Phlegmonie, Verzweiflung.
Die meisten Toten waren Italiener. Sie wurden am schlechtesten behandelt. Der Grund dafür war der Hass der Nazis auf die ehemaligen Bündnispartner aus Italien, die den Faschismus selbst abgeschafft hatten und deren Land danach von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde.
Die Arbeiten im Stollen
Unter der Anleitung von professionellen Mineuren einer zivilen Bergbaufirma mussten die Häftlinge mehrere 4 m tiefe Löcher in die jeweilige Wand bohren, in die der Sprengstoff eingebracht wurde. Dabei wurde gleichzeitig an mehreren Stellen gearbeitet. Die Sprengungen erfolgten gegen Ende jeder Schicht. Gearbeitet wurde mit von Druckluft angetriebenem Bohrgerät. Zu diesem Zweck stand vor dem Stollen ein Kompressor, der den nötigen Druck erzeugte. Die einzelnen Bohrstellen wurden aus Rohren notdürftig mit Frischluft versorgt. Nach der Sprengung, wenn sich Staub und Gase einigermaßen verzogen hatten, mussten die Häftlinge das lockere Gestein herausbrechen und auf die Loren verladen.
Vor und in der Stollenanlage arbeiteten:
- OT-Leute (Organisation Todt) in ihren gelben Uniformen als Bauaufsicht
- Ingenieure und Bauleiter mit wenigen Facharbeitern von den Privatfirmen
- Handwerker und einige Gesellen aus der Umgebung
- Fremdarbeiter und Kriegsgefangene, die für die privaten Bauunternehmen
und Handwerksbetriebe arbeiten mussten - KZ-Häftlinge in den Stollen, beaufsichtigt von ihren Kapos und angeleitet
von der OT - SS-Wachen mit Hunden vor den Stollenausgängen, um Fluchtversuche der
Häftlinge zu vereiteln
Der Aushub wurde auf Loren geladen, der mit kleinen Dieselloks nach draußen gefahren und in den See gekippt wurde.
Bei der Ausfahrt wurde jede Lore von der SS-Wachmannschaft und scharfen Schäferhunden kontrolliert, ob sich darin nicht ein Häftling versteckt hielt. Auf dem befestigten Aushub wurde dann der Überlinger Campingplatz (heute Uferpark) errichtet.
Bei den Arbeiten im Stollen gab es nur wenige Arbeitsschutzmaßnahmen, weder besondere Baumaßnahmen noch Schutzmasken oder Helme. Da der Molassefels nicht aus homogenem Gestein besteht, sondern Brüche aufweist, kam es immer wieder vor, dass Felsgestein überraschend herunterbrach. Die Häftlinge waren oft so geschwächt, dass sie nicht schnell genug reagieren konnten. Die Opfer solcher Arbeitsunfälle wurden erst am Ende der Schicht nach draußen gebracht.
Georg Metzler zitiert in seinem Buch „Geheime Kommandosache“ aus Aussagen ehemaliger Häftlinge:
„Die furchtbare Not, die Kälte, der Hunger, das Ungeziefer, die Erschöpfung, die Krankheiten, der Neid gegenüber den Paketempfängern, all das schier Unerträgliche, die Angst vor Ansteckung, der Gedanke an das Sterben noch kurz vor der in Bälde zu erhoffenden Befreiung – Truppen General de Gaulles sollten bereits in Baden- Baden stehen- das alles machte die Menschen rasend, hysterisch, hart, böse und unkameradschaftlich. Jeder wurde des anderen Feind.“ (S. 214)
„Lebensenergie glimmte kaum. Unsere Körper erschwächten. Unsere Gestalt wurde auf `Haut und Knochen` gesetzt. Nur das Wollen an Überleben war noch da.“ (S. 214)
Über die am 5. April 1945 aus Überlingen im Lager Saulgau eingetroffenen schwerkranken Häftlinge, schreibt Metzler:
„Etwa gegen 6:30 trafen die 5-6 Viehwagen mit 214 Häftlingen auf dem Güterbahnhof ein. (…) Beim Öffnen der Türen lagen zwei Häftlinge tot im Zug. Einige Gehunfähige fielen beim Versuch, aussteigen zu wollen, vom Wagen herunter auf den Boden. Es war sehr kalt, die Schwerkranken kauerten ohne Decken kreuz und quer in dem von Gestank verpesteten Inneren.
Die Phlegmone – Kranken lagen da, frierend, ihre Beine ohne Haut, mit offenen Wunden und mit vereiterten Händen. Viele litten schon wochenlang an Eiterungen. Menschliche Wracks mit gelähmtem Arm, mit gebrochenem Schlüsselbein, Rippenbrüchen, Quetschungen und Schädelverletzungen gehörten zur traurigen Fracht. Die nicht zu kontrollierende Läuseplage hatte die Ansteckung mit Flecktyphus außer Kontrolle gebracht.“ (S. 215)
Metzler zitiert Aussagen von Saulgauer Häftlingen und Aufsichtspersonal über die angekommenen Häftlinge aus Überlingen:
„Die Häftlinge aus Überlingen waren vollkommen abgemagert, fast verhungert, abgerissen und völlig verlaust. Die meisten von ihnen konnten kaum gehen.“
„Die bei uns eingetroffenen Häftlinge aus Überlingen waren völlig verlaust und fast verhungert.“
„Die Häftlinge hatten Wasserköpfe. Sie konnten kaum laufen und bestanden aus Haut und Knochen. Man sah, dass sie furchtbar Hunger litten. Ihre Augen waren zum Fürchten – schrecklich. Das waren Todgeweihte.“
„Abgemagert, verheerend, kann es nicht beschreiben.“ (S. 214/215)
Dass ein Aufenthalt im KZ-Außenlager Aufkirch auch als Strafmaßnahme gedient hatte, wird am Beispiel des 21-jährigen Holländers Marinus Smit deutlich.
Er arbeitete in Friedrichshafen bei Maybach und wurde im September 1944 nach Überlingen verbracht:
„(…) Ich stand bei der Küche und da kommt er (Ausländerbeauftragte H.) so schnell rein und gibt mir einen Schubs mit dem Fuß und ich machte auch so hin. (…) H. ist auf den Boden gefallen, nach drei Stunden wurde ich abgeführt von der Werkspolizei (…) und drei Tage eingesperrt.
Dann musste ich nach Überlingen in die Stollen, das war eine Strafe, von H. festgelegt, das war nicht so ein schöner Mann. (…) Ich habe dort im Lager bei den KZ-Häftlingen gewohnt.
Stollen, Eisenbahn und darüber die Baracken, drei Baracken und eine extra. Sehr voll, viele Nationalitäten. Und zwei Monate war ich da und dann musste ich wieder zurück.
Sprengen musste ich nicht. Das machten deutsche Spezialingenieure. Ich habe die Löcher gebohrt und dann auf Abstand alles raus und auf Abstand alles sprengen lassen, und danach mussten die Russen das Gestein rausschaffen.
Alles was rausgekommen ist, das ist das heutige Strandbad von Überlingen. (…) Das Essen war noch schlimmer als hier (in Friedrichshafen). (…) Wenn ich ins Lager kam, ging ich gleich ins Bett. Von fünf Uhr morgens bis neun Uhr abends gearbeitet, Nachtschicht habe ich nicht gemacht.
Aber die Russen und die Österreicher die waren allemal gleich schlecht behandelt worden. (…) Ich hatte einmal mein Fuß kaputt, da war ein Loch im Bein und da sagt der Österreicher: „Wenn Du mitkommst zum Arzt, dann kommst du nicht mehr zurück. Es ist besser dazubleiben.“
Ich hatte ein Maybach-Putztuch drumgemacht. (…) Ich war nicht in Sträflingskleidung, ich hatte meinen Overall (von Maybach) und das Band „H“ am Ärmel.
Sie hatten zu mir gesagt: „Du bist nur zeitweise hier, nicht für lange Dauer, wenn die Arbeit fertig ist, dann kannst du zurück nach Maybach, an den alten Arbeitsplatz.“
(…) Ich habe nie mit der deutschen Bewachung gesprochen, musste aber mit in der Kolonne gehen, Bewachung mit Hunden. Ich hatte Schweigepflicht. (..) Als ich wieder zurückkam nach Friedrichshafen, da war ich schwerkrank.(..)“
(aus: Christa Tholander- „Fremdarbeiter 1939-1945“ S. 226/227)
Marinus Smit hatte sich eine Rippfellentzündung geholt. Bei der Rückkehr nach Holland stellte man Tuberkulose fest…
Quellenangabe: Georg Metzler: Geheime Kommandosache. Raketenrüstung in Oberschwaben. Das Außenlager Saulgau und die V2 (1943-1945). 1997