Nach der gezielten Bombardierung der Rüstungsbetriebe in Friedrichshafen entschied man sich in Berlin für eine bombensichere unterirdische Produktionsstätte zwischen Überlingen und Goldbach.
Der Überlinger Bürgermeister Dr. Albert Spreng und der Gemeinderat versuchten die Verlagerung von Industrien nach Überlingen zu verhindern, weil damit die „Luftgefahr für Überlingen bedeutend größer werde“ – gemeint war die Gefahr, dass die Stadt zum Ziel von Bombenangriffen werde. Tatsächlich versuchte Bürgermeister Dr. Spreng zwei prominente Überlinger, die er für einflussreich in Berlin hielt, dazu zu bewegen, bei der Reichsführung und Parteiführung zu intervenieren, Überlingen vor derartigen Planungen zu verschonen. Es handelte sich um den Schriftsteller und Kulturfunktionär Dr. Carl Rothe (*1900 in Aachen, + 1970 in Freiburg), und Winifred Wagner (*1897 in Hastings, +1980 in Überlingen) die Schwiegertochter Richard Wagners, die Witwe des Wagner-Sohns Siegfried Wagner – die Familie Wagner hielt sich häufig in ihrem Haus in Nußdorf auf, wo Winifred auch bis zu ihrem Tod lebte. Unter anderem formulierte Dr. Spreng: „Wir bekommen das, das Württemberg nicht will.“ Diese Bemühungen waren schließlich erfolglos und die „Gefahr der Schädigung der Stadt müsse – so schmerzlich es sei – in Kauf genommen werden“, wie Spreng formulierte. Die Stadt sah sich schließlich gezwungen, an den Planungen und der Realisierung mitzuwirken.
(Die Zitate stammen aus der Akte mit dem Titel „Industrieverlagerung Hier: Stollenausbau beim Westbahnhof“ im Stadtarchiv Überlingen, Az.: StAÜ D3/1667.)
Die Stollenarbeiten in Überlingen
Der weiche Molassefels bei Überlingen schien für einen Stollenbau geeignet. Auch der Standort nahe am See hatte Vorteile. Der Molassefels sollte den Druck der Bomben absorbieren und garantierte schnellen Vortrieb. Den Aushub konnte man in den See schütten, die Bahngleise ließen eine rationelle Zufuhr der Rohmaterialien und einen raschen Abtransport der Fertigprodukte zu. Für die Stollenanlage in Überlingen waren schließlich 100 000 Quadratmeter Produktionsfläche vorgesehen.
Die „Rüstungsinspektion Oberrhein“ mit Sitz in Straßburg organisierte das Bauvorhaben. Das „Rüstungskommando Freiburg“ hatte die Bauausschreibung und die Bauüberwachung in der Hand.
Die Bauleitung hatte das Münchener Ingenieurbüro Arno Fischer, dessen Büro unter der Leitung des Ing. Meierhofer in der Überlinger Bahnhofstraße 20 untergebracht war. Die Bauausführung erfolgte durch mehrere Firmen unter der Leitung der „Siemens-Bauunion“ München.
“Eines Tages kam ein gut gekleideter Herr in Zivil zu den Besitzern der Wiese im Gewann ‘Simmelbrunnen’ , auf der das Lager errichtet werden sollte, und sagte: ‘Ich komme im Auftrag des Großdeutschen Reichs. Sie werden aufgefordert, Gelände zur Verfügung zu stellen.’ Als die Besitzer erklärten, sie wollten das Grundstück nicht verkaufen, sagte er, es werde dann eben enteignet; sie hätten noch einen Tag Zeit zum Überlegen. Vom Zweck des Geländes ist nicht die Rede gewesen. Die Stadtverwaltung und die Bewohner der Stadt hatten zunächst nichts mit der ganzen Angelegenheit zu tun. Der Bürgermeister erwähnt lediglich, dass das Lager errichtet worden sei. Es traf die Stadt Überlingen auch nur deshalb, weil die Molassefelsen so günstig für die Grabung von Stollen waren.
Sowohl die Stollenanlage als auch die Einrichtung des Lagers wurden als streng geheim zu haltende Anlage behandelt, wie sich denn auch in der Presse keine einzige Erwähnung darüber findet. Das Lager im Gewann ‘Simmelbrunnen’ bestand aus drei Wohnbaracken von ca. 12 auf 24 Metern Größe, in denen jeweils bis zu 300 Häftlinge ‘wohnten’. Jeder erhielt zum Schlafen einen Papiersack mit Spreu. Sanitär- und Küchenbaracke und die Häuschen für die SS-Wachleute lagen etwas weiter abseits. Das Lager war, wie üblich, mit Stacheldraht umgeben und mit vier Wachtürmen gesichert.“
Am 21. April 1945, nur wenige Tage bevor die Franzosen Überlingen besetzten, brannte die Feuerwehr das KZ-Lager ab. Angeblich wegen der Seuchengefahr durch die völlig verdreckten Gebäude voller Ungeziefer, vielleicht aber auch, um den Makel, den das Lager dem Bild der geruhsamen Kurstadt beizufügen drohte, auszulöschen, oder um vor den heranrückenden Franzosen zu verbergen, wie die SS mit den Häftlingen umgegangen war.
Quellenangabe: Der Stollen, 13. Auflage Überlingen 2019, Seite 27f